Schwund der Freunde

Nicht immer, aber sehr häufig „verschwinden“ die Freunde und sogar Familienangehörige sehr schnell nach der Diagnose aus dem Leben des Patienten. Übergangsweise rufen Freunde dann noch ab und zu den Partner an und bestellen Grüße.

Das war´s.
 
Warum ist das so?
Ich habe natürlich bei diesen so genannten Freunden nachgefragt ... :

Schutzbehauptungen:

  • Ihr wollt sicherlich Eure Ruhe
  • Wir wollen Euch nicht auf die Nerven gehen
  • Wir sind beruflich ja so eingespannt ...
  • Ich kann die Krankenhaus-Atmosphäre und den Geruch nicht ertragen

Und nach noch intensiverem Nachfragen:

  • Die Situation ist so schrecklich, ich weiß überhaupt nicht, was ich mit ihm besprechen kann. Alles, was ich sage, ist doch völlig unwichtig und nervt nur!

  • Ich habe Angst, den Tod in seinen Augen zu sehen.

  • Mich zerreißt es, ihn so leiden zu sehen. Vor allem, weil es ja wahrscheinlich zum Tode führt.

  • Ich habe Angst, mich mit dem Krebs anzustecken.

  • Ich habe Angst, mich mit Krankenhauskeimen anzustecken.

  • Ich kann die Situation so nah einfach nicht ertragen. Das schaffe ich nicht!

Die letzte Begründung ist die einzige, die ich gelten lassen kann ...

Aber wie auch immer: wir müssen einfach akzeptieren, dass die meisten Menschen Angst vor Krebs, dem Tod und dem Leiden haben. Wir müssen verzeihen, dass viele nicht über ihren Schatten springen können und vor der Situation fliehen.

Dabei ist der Verlust der Gesundheit, die Angst vor dem Tod und die Behandlung so extrem, dass wir jeden Freund und jede Zuwendung gebrauchen können. Jedenfalls viele von uns.

Warum sagen wir es unseren Freunden direkt bei der Bekanntgabe der Diagnose nicht?

Warum erwarten wir von den Freunden, dass sie einfach bei uns bleiben ohne dass wir ihnen einen Wegweiser in die Hand geben, wie wir behandelt werden wollen, müssen und sollen?

Jeder, dessen soziales Umfeld nach der Diagnose mehr oder weniger verlustig gegangen ist, hat nicht offen und klar kommuniziert.
Auch wir haben am Anfang unsere Fehler gemacht.

Aber das kann man korrigieren.

Sagt ihnen, dass ihr jetzt ganz dringend jeden einzelnen Freund und Freundin braucht, weil ihr das reale Leben, das Draußen, die Welt, die Feiern und Freude mit Freunden, das normale Leben erst einmal nicht haben könnt.

Sagt ihnen, dass ihr normal und aufmunternd behandelt werden wollt. Nicht „chakka“ und „kämpfe“ und „du schaffst das“, sondern in Arm nehmen, mit-weinen, mit-lachen und ihr einfach da sein sollt.

Sagt ihnen, dass ihr sie JETZT wirklich braucht!

Warum auch nicht?

Ich habe von vielen gehört, dass sie allen ihre Krankheit sogar lange Zeit verschwiegen haben. Weil sie sich schämten.
Entschuldigung – das ist völlig dämlich!

Du wirst Deine Krankheit sowieso nicht verschweigen können, weil man es Dir ansieht, anmerkt und – Himmel – wenn es zu Ende gehen sollte, dann ist es doch spätestens dann klar!

Haben die Freunde nicht ein Recht darauf, dass sie informiert werden?

Ganz sicher fühlen sich alle Menschen besser, wenn sie informiert und angeleitet werden, wie sie mit der Krankheit und dem Patienten umgehen sollen. Dann sind sie motiviert und man hat selbst am meisten davon.

Und wenn die Krankheit überwunden werden sollte, schweißt diese Lebensphase enorm zusammen!

Wenn ihr Freunde habt, dann behandelt sie auch so!

 

Ich  habe in den letzten fünf Jahren nur EINE Patientin kennen gelernt, die keine Freunde verloren hat (außer dem Lebenspartner...). Sie hat immer offen und motivierend kommuniziert. Das war der Schlüssel zum Erhalt der Freundschaft.